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Als freier Sätzemacher sein Handwerk verstehen

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Mitte November wurden im dlf-Philosophiemagazin „Sein und Streit“ drei Gespräche mit Peter Sloterdijk gesendet.  Simone Miller und Armen Avanessian sprachen mit Sloterdijk über die zentralen Stichworte der Französischen Revolution, „Freiheit“, „Gleichheit“ und „Brüderlichkeit“. Im Rahmen der Gespräche kamen die Moderatoren auch auf das Schreiben zu sprechen.

So fragte Armen Avanessian am Ende des ersten Gesprächs, was denn Freiheit für Sloterdijk persönlich als Schriftsteller und Philosoph bedeutet. Sloterdijk antwortet:

„Man kann das Schreiben ohne Akkusativobjekt, d.h., das intransitive Verbum „schreiben“, nur verwenden, wenn man bereit ist zuzugeben, dass dies eine Form der Übung ist. Ich halte sehr viel davon, den Menschen als ein übendes Tier aufzufassen, und das Üben geht insofern über das Lernen hinaus, als das übende Lernen einen Zug ins Höhere hat, in das Akrobatische, (…) das Gehen auf Stelzen. Der Akrobat ist ja der, der (…) genug trainiert hat, um nicht vom Seil herunter zu fallen. Und das hat es mit der intransitiven Form der Schriftstellerei auch auf sich.“ [ab ca. Minute 49:30]

Simone Miller hakt nach:  Ist das sich Übersteigen im Schreiben auch ein Sich-Selbst-Befreien?

„Man muss ja viel geschrieben haben, bis man überhaupt versteht wie man Sätze baut. Es gibt ja die Regel für Musiker und für Handwerker, dass man eine Sache erst kann, wenn man sie 10.000 Stunden lang geübt hat. Das gilt für die meisten Instrumentalisten und das gilt eigentlich auch für die meisten Schriftsteller, obwohl sie auch ihre Übungstexte schon oft mitveröffentlichen. Deswegen auch für sie eine spöttische Bemerkung von Hegel über seinen jungen Freund Schelling: ‚Er hat seine Ausbildung vor dem Publikum gemacht.‘ Aber das ist etwas, wozu die Schreibenden immer schon tendieren, es geht letztlich immer darum, als freier Sätzemacher sich und anderen zu beweisen, dass man das Handwerk nicht verlernt hat. Und wenn man das Glück hat und hat 50 Jahre lang ausserordentliche Gedichte geschrieben, dann gelingen einem auch, wie es Gottfried Benn widerfuhr, einfache Zeilen, wie die Schlusszeilen seines Gedichtes ‚Menschen getroffen‘: ‚Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,/ woher das Sanfte und das Gute kommt, /weiß es auch heute nicht und muß nun gehen.'“

In der zweiten Sendung zum Thema „Gleichheit“ knüpft Armen Avanessian an Jean Pauls Bemerkung an, Bücher seien dicke Briefe an Freunde.  Sloterdijk hat den Satz einmal zitiert. Mit wem tauscht sich Sloterdijk aus? An wen richten sich seine dicken Briefe?

„Ich wende mich gerne an Leute, die Freude daran haben, klug zu sein. Und das merkt man immer dann, wenn man jemanden trifft, von dem man etwas lernen kann oder bei dem man Lust hat, ihm eine Idee zu klauen. Ich würde gerne ein bisschen mehr bestohlen werden. Wenn ich mal eingeladen werde auf einem Managerkongress zu sprechen oder bei Juristen oder Unternehmensberatern, die alle glauben, dass sie unter dem Zwang stehen kreativ zu sein – das ist ja ein Fluch, der über sehr vielen Leben schwebt – dann nehme ich manchmal Zuflucht zu folgender Auskunft, dass Intelligenz etwas ist, was im ungeschützen Verkehr mit der Intelligenz anderer Menschen entsteht.“ [ab ca. Minute 51:30)

Alle drei Sendungen gibt es auf der dlf-Seite:

 


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